Wie Gott verschwand aus Jorwerd

Wie Gott verschwand aus Jorwerd ist die Biographie eines Dorfs während der stillen Revolution in der Zeit von 1945 bis 1995. Es ist die Geschichte von Bauern und Geld, von den Inhabern kleiner Läden und der näher kommenden Stadt, vom Kirchturm, der einstürzte, und den Zugezogenen, die nicht mehr grüßen. Es ist die Geschichte der schönen Gais Meinsma, vom Krämer und seinem Heimweh und von Peet, der im Grünkohl starb.

Einzigartig, das ist das friesische Dorf Jorwerd, aber nicht außergewöhnlich. In seinem Buch Wie Gott verschwand aus Jorwerd erwähnt Geert Mak eine Studie, in der drei vollkommen verschiedene Dorfgemeinschaften miteinander verglichen werden, eine im Griechenland des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, eine in England um 1900 und ein heutiges Dorf von Majas in Yucatán. Es zeigte sich, dass es einige auffällige Gemeinsamkeiten gibt, unter anderem was die Ansichten über die Arbeit und das Ackerland angeht sowie hinsichtlich der Rolle der Jugend im Gemeinschaftsleben. Oder, wie Mak es in seinem Buch über „ein niederländisches Dorf im 20. Jahrhundert“ umschreibt: „In vielerlei Hinsicht waren die Unterschiede zwischen Jorwerd und Amsterdam also erheblich größer, als die zwischen Jorwerd und einem beliebigen Dorf in England oder Deutschland.“

Dörfer wie Jorwerd bildeten jahrhundertelang ein kleines Universum. Irgendwann um das „vorsintflutlichen Jahr 1858“ herum muss Jorwerd, so Mak, seinen Höhepunkt als „klassische Dorfgemeinschaft“ erlebt haben: „Es hatte zu jenerZeit gut sechshundert Einwohner, es gab Geschäfte, Bäckereien und Wirtshäuser, und für jeden, der weniger als eine halbe Stunde Fußmarsch vom Dorf entfernt wohnte, fungierte es als eine Art Mini-Einkaufszentrum.“ Rund einhundert Jahre später sollte alles anders sein.

Jorwerd ist nicht außergewöhnlich, wohl aber einzigartig. Wenn man auf seine Geschichte einzoomt, so wie Mak es in seinem Buch getan hat, dann lernt man sie kennen, die Männer und Frauen, die dort ihr Leben verbracht haben, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Wie Gott verschwand aus Jorwerd ist die Biographie eines Dorfs, das zunächst im Windschatten der Zeit existierte und sich jahrhundertelang fast nicht veränderte, und das dann eben diese Zeit wie einen Sturm über sich hinwegrasen fühlte. Die alte Bauerngemeinschaft, in der die Verhältnisse festgefügt, Aufgaben verteilt und die Erwartungen bescheiden waren, veränderte sich. Menschen von anderswo zogen ins Dorf, die nicht oder anders grüßten, landwirtschaftliche Maschinen und Melkmaschinen hielten Einzug, neue Häuser wurden gebaut, es kam Lärm, während sich gleichzeitig die Gerüche und Farben änderten. In seiner Beschreibung dieses Prozesses, bei dem die alte vertraute Zeit hinter dem Horizont der Geschichte verschwand, zeigt Mak sich als ein historischer Chronist von Format: überaus gut dokumentiert, ohne Neigung zu melancholischem Sinnieren und mit einem anschaulichen Stil.

Wie Gott verschwand aus Jorwerd gehört einer historiographischen Schule an, zu deren Exponenten auch das Buch Montaillou von Emmanuel Le Roy Ladurie zählt und deren Ziel es ist, das normale, alltägliche Leben von früher zu beschreiben. Dank Maks Studie können wir einen Blick auf das werfen, was jenseits der zerfransten Ränder der Zeit liegt – und können ab und zu eine verstohlene Träne dem nachweinen, was verschwunden ist.

317 Seiten
Aus dem Niederländischen von
Isabel de Keghel
Siedler Verlag
ISBN 3886806693 (vergriffen)

Taschenbuchausgabe
btb
ISBN 9783442733477