Das Jahrhundert meines Vaters
Was verbindet uns mit all jenen, die im vorigen Jahrhundert gelebt haben? Ist es nicht ihre Menschlichkeit, ihre Blindheit manchmal, mehr noch als ihr großes und kleines Heldentum? Geert Mak hat eine Biographie der Niederlande im 20. Jahrhundert in Form einer Familiengeschichte geschrieben.
Selten haben die niederländischen Leser ein Buch so schnell ins Herz geschlossen wie Das Jahrhundert meines Vaters. Die rund fünfhundert Seiten zählende Studie über einhundert Jahr niederländische Geschichte erschien 1999 und erlebte eine Auflage nach der anderen. Denn schließlich ist es eine beeindruckende Synthese von erzählender Genealogie und Historiographie, die nicht nur das Leben eines Mannes – Geerst Maks Vater – beleuchtet, sondern auch die Geschichte der Niederlande im 20. Jahrhundert. Maks Vater wurde am 28. September 1899 in Schiedam geboren, wo Großvater Mak eine Segelmacherei besaß. Dieser Tag ist der Ausgangspunkt für eine faszinierende Wanderung durch die Niederlande im 20. Jahrhundert.
Für sein Buch benutzte Mak alle Quellen, die er finden konnte: Bücher, Archive, Briefe, Postkarten, mündliche Berichte. Dabei war es nicht seine Absicht, wie ein Historiker mit allem Wissen der Gegenwart rückblickend zu schreiben, sondern er wollte gleichsam mit seinen Protagonisten ihre Zeit erleben. Wie empfanden sie etwa das Aufkommen des Faschismus, und was konnten und wollten sie über das Schicksal der Juden wissen?
An der Art, wie Mak das Leben seines Vaters und ein Jahrhundert niederländische Geschichte in Worte gefasst hat, erkennt man seine journalistischen Wurzeln. Denn es ist deutlich, dass er die Vergangenheit so historisch korrekt wie möglich zum Leben erwecken wollte, ohne gleichzeitig in einen melancholischen Ton zu verfallen. Wiederholt hat Mak betont, dass alles, was im Buch geschieht, sich wirklich so zugetragen hat – die Farben und Düfte in Das Jahrhundert meines Vaters sind so authentisch wie möglich. Wenn Mak es im Buch regnen lässt, kann man davon ausgehen, dass es laut den alten Wetterberichten an diesemn Tag tatsächlich geregnet hat. Dabei widerstand er der Versuchung, fehlende Details nach eigenem Gutdünken hinzuzufügen, wie es manche Historiker ausgiebig tun.
Geert Maks Vater starb am 3. Juli 1983. Er war monatelang bettlägerig gewesen und sehnte sich nach dem Tod. An jenem warmen Julitag, so schreibt der Autor, „war er unruhiger als gewöhnlich. Dauernd versuchte er sich am Handgriff über seinem Bett hochzuziehen. ’Warum machst du das?’, fragte meine Mutter. ’Sonst falle ich um und sterbe’, antwortete mein Vater. ’Aber das willst du doch, sterben?’ ’Ja’, sagte er da. Und ließ los, fiel zurück, und so fiel er und wurde von den Engeln getragen.“
Diese Sterbeszene hat etwas Seltsames – Maks Vater wird, zusammen mit all den anderen in diesem Buch, auf wundersame Weise wieder zum Leben erweckt.
„Bevor ich anfing zu schreiben, fürchtete ich, meine Technik könnte unzureichend sein. Schreiben ist ein Handwerk, wie das Schreinern eines Tisches oder eins Schranks. Das Verflechten dieser beiden Elemente führte hier und da zu schwierigen Situationen. Doch im Laufe der Arbeit wird man geschickter. Und ansonsten habe ich Glück gehabt. Meine Eltern haben während der Jahre in Indonesien viele Briefe an Verwandte in den Niederlanden geschrieben, und diese Briefe sind erhalten geblieben. Mein Großvater van der Molen hatte sie ordentlich nach Datum sortiert. Und während ich bereits an dem Buch schrieb, fand ich auf dem Speicher einen schwarzen Koffer wieder, worin ich nach dem Tod meiner Mutter allerlei Papiere verstaut hatte.
Zusammen mit den Artikeln, die mein Vater früher einmal für die Zeitschrift Woord en Geest (Wort und Geist) geschrieben hat und die ich in der Vrije Universiteit auftreiben konnte, hatte ich wunderbare Quellen.“ Geert Mak im Gespräch mit Monic Slingerland von Trouw.
569 Seiten
Aus dem Niederländischen
von Gregor Seferens und Andreas Ecke
Siedler Verlag
ISBN 3886807460 (vergriffen)
Taschenbuchausgabe:
btb
ISBN: 9783442733477